Italo-Disco in München

Francesco Cicoria und Leandro D'Introno bringen Italien in die Münchner Nacht. Es geht um sehr unterschiedliche Ausgeh-Gewohnheiten, Urlaubsgefühle und - natürlich - um Klischees.

Süddeutsche Zeitung, 18.03.2024 

Bei der letzten Party gingen die Gin Tonics über den Tresen wie warme Semmeln. "Die Leute trinken Negroni, Gin Tonic und Negroni Sbagliato. Auch Prosecco, aber bitte nicht mit Eiswürfeln", sagt Francesco Cicoria, 36. Mit Leandro D'Introno, 32, plant er gerade das nächste Italo-Disco-Event. Bei der letzten Party sei eine ihrer Bekannten, sie stammt aus dem Veneto, empört gewesen: An der Bar habe sie einen Prosecco mit Eis bekommen. Ein No-Go. In Italien. Soll nicht nochmal passieren.

Bei den Feiern des Kollektivs geht es aber weniger um Getränke. Es geht um Musik. Um eine tanzbare Nacht. Und um Community-Building. Cicoria und D'Introno sind DJs und Teil des italienischen Kollektivs "Ke Fai" aus München. Das Motto: Deutsche sollen sich bei ihren Partys wie im Urlaub fühlen und Italiener wie zuhause. Klappt das?

"In München ist es schwierig, Bekanntschaften zu schließen, wenn man neu in der Stadt ist", sagt Cicoria. Selbst für kommunikationsfreudige Menschen wie die aus Italien. Mit den Partys wollen sie eine Gemeinschaft bilden, in der man sich austauschen kann. Auf Whatsapp hat das Kollektiv einen Kanal angelegt, in dem über Events informiert wird, zusätzlich einen weiterer Chat zur Zimmer- und Wohnungssuche.

Der Name des Kollektivs Ke Fai bedeutet auf Deutsch: Was machst du. Die korrekte italienische Schreibweise ist che fai. "Wir schreiben uns mit K statt mit Ch, damit jeder sofort weiß, wie man es ausspricht", sagt Cicoria. Das Logo des Kollektivs spielt mit einem Klischee: Eine Hand, die mit der Fläche nach oben zeigt, die Fingerkuppen berühren sich und formen eine Spitze. In Italien hat diese Geste mehrere Bedeutungen, etwa: Was willst du? Was sagst du da? und Was machst du? Was genau macht also das Kollektiv am Italo-Disco-Abend? Und: Warum eigentlich genau Italo-Disco?

"Diesen von Synthesizern geprägten Sound aus den 80ern findet man bei uns wieder."

Das Genre, sagt Cicoria, habe eine besondere Beziehung zu München. Denn hier gab es ja Musikproduzent Giorgio Moroder. Der Südtiroler war wegweisend auch für die Entwicklung der Italo-Disco. In den damaligen Musicland-Studios produzierte Moroder in den Siebzigern Hits wie "I feel Love" mit Donna Summer. Das Musikerduo "La Bionda", wichtige Vertreter der Italo-Disco, kam extra aus Italien nach München, um bei Moroder aufzunehmen. Den Höhepunkt erreichte das Genre in den Achtzigerjahren, sowohl in Italien als auch im Ausland, mit Songs wie "Dolce Vita" von Ryan Paris, "Boys" von Sabrina Salerno und "Vamos a la playa" von Righiera. Bei Ke Fai wird dieses Genre durch andere Musikrichtungen erweitert: "Den von Synthesizern geprägten Italo-Disco-Sound mischen wir mit italienischer Popmusik und internationalen, mainstreamigeren Hits", sagt D'Introno.

Klingt bunt. Klingt trashig. Kommt an. Im November 2023 fand die erste "Italodisco" von Ke Fai in der Isarpost statt. Auf dem Instagram-Profil des Kollektivs kann man sich einen Eindruck verschaffen: Voller Laden, fast alle singen mit, besonders lautstark bei "Sarà perché ti amo" (Deutsch: "Das wird sein, weil ich dich liebe") von der italienischen Pop-Band Ricchi e Poveri mit.

Das ist er also, dieser Moment, in dem sich Deutsche wie im Urlaub fühlen und Italiener wie zuhause. "Einige kennen italienische Musik aus den Ferien. Manche singen mit, selbst wenn sie nichts verstehen. Musik verbindet einfach, auch wenn man den Text nicht kann", sagt Cicoria. An so einem Abend trifft die Sehnsucht der Münchner Partygäste nach Dolce Vita auf das Heimweh der Italiener, die in München leben.

"Angeblich soll es in München mehr italienische Restaurants geben als in Florenz."

Cicoria und D'Introno gehören zu einer Generation von jungen Italienern, die gut ausgebildet sind, aber in Italien nicht die gleiche Perspektive haben wie in Deutschland. Cicoria lebt seit elf Jahren in München. In München denke man oft an das Klischee der "Dolce Vita" in Italien. Vieles sei dort jedoch schwerer als in Deutschland. "In Italien fehlen Arbeitsplätze, es gibt weniger Möglichkeiten für junge Menschen. Das ist ein Problem, denn in Mailand beispielsweise sind die Mieten so hoch wie in München, aber das Durchschnittsgehalt beträgt nur die Hälfte von dem, was man hier verdient", sagt Cicoria, der als Ingenieur arbeitet. Unter dem Funkeln der Discokugeln ist die Sehnsucht nach Italien, nach der Heimat, ein Detail, das mitschwingt. Bei Ke Fai wird in der Gegenwart gefeiert, angereichert mit ein wenig Nostalgie aus den vermeintlich sorglosen früheren Zeiten. Und alles unterlegt mit den melodischen Hymnen dieses Musik-Genres, in dem tanzbare Rhythmen auf ohrwurmige Refrains treffen. Keine harten Gitarren, kein kratzendes Deutsch, Sprache und Song eher so eingängig und angenehm wie ein lauer Sonnenuntergang am Strand mit Pizza und Sprizz. Tanzbar, italienisch lieblich. Das ist das Eine.

Dass so eine Party-Reihe in München funktioniert, liege aber auch daran, dass viele Italiener in der Stadt leben und dass München und seine Bewohner eine starke Verbindung zu Italien haben. "Angeblich soll es in München mehr italienische Restaurants geben als in Florenz. Das sagt doch viel aus", meint Cicoria.

"Das Nachtleben beginnt hier deutlich früher."

Es gibt Dinge, die in München trotzdem anders sind als in Italien. "Das Nachtleben beginnt hier deutlich früher. Die Leute stehen manchmal schon um halb 11 in der Schlange für Clubs. Italiener fangen später an, ab Mitternacht geht es da los, frühestens. Vorher gibt es einen Aperitif, man isst was, schaut vielleicht noch einen Film, und zieht dann langsam los", sagt Cicoria. Dass das italienische Nachtleben spät startet, liegt daran, dass der Alltag einem anderen Rhythmus folgt. "Es ist üblich, später zu Abend zu essen als in Deutschland. Man arbeitet länger, der Feierabend verschiebt sich dadurch weiter nach hinten." Start der "Italodisco" in München? 22 Uhr. Die Leute würden tatsächlich auch sehr pünktlich zu Beginn der Party da sein, so Cicoria.

Und nach der Party? Auf dem Heimweg hat man in München wie in Italien dasselbe Gefühl: heftigen Hunger. Während man nördlich der Alpen gerne die nächstbeste Döner-Bude aufsucht, greift man in Italien eher zum Croissant. "Es kommt darauf an, wo man in Italien ist. Klar, Döner- und Kebap-Läden gibt es in Italien auch. Es ist dort sogar einfacher als in Deutschland, nachts oder früh am Morgen etwas Essbares zu finden. Oft führt der Weg nach der Party zu einer panetteria, einer Bäckerei. Da holt man sich ein warmes cornetto", sagt Cicoria.

Und noch eine Besonderheit gibt es. Sie spiegelt sich im Charakter der Party von Ke Fai wider und verrät etwas über den Stellenwert italienischsprachiger Popmusik in Italien: Die Italiener feiern ihre Musik ganz anders, als es Deutsche mit deutscher Musik tun. Warum ist das so? "Die Italiener singen mit, weil wir Titel spielen, mit denen wir alle in Italien aufgewachsen sind, die erinnern an zuhause", sagt Francesco Cicoria. Dies liege daran, dass man in Italien viel mehr italienischsprachige Musik im Alltag konsumiere, als es in Deutschland mit deutschsprachiger Musik der Fall ist. Vergleichbar mit deutscher Schlagermusik sind die italienischen Songs nicht ganz, finden zumindest Cicoria und D'Introno. Italienische Popmusik habe ein cooleres Image in der Gesellschaft. "Das Musikfestival Sanremo hat wohl auch dazu beigetragen. Das ist in den letzten Jahren moderner geworden. Am Ende des Festivals kennt das ganze Land die Songs. Etwas Vergleichbares gibt es in der Form in Deutschland nicht", sagt Cicoria. Fast jeder Italiener, vom Kleinkind bis zum Rentner, verfolgt jährlich das Musikfestival Sanremo im Fernsehen. "Sarà perché ti amo" wurde bei der 31. Ausgabe des Sanremo-Festivals, 1981, präsentiert.

Dieser Song von Ricchi e Poveri war 2023 der übereinstimmende Wiesn-Hit. Warum, das wissen selbst Cicoria und D'Introno nicht. Schließlich ist das Lied mehr als 40 Jahre alt. Es gibt eine Antwort. Man findet sie im italienischen Fußball: 1981 stieg der AC Mailand nach Jahren wieder in die Serie A auf. Der Song, der im selben Jahr erschien, wurde damals so etwas wie eine kleine Hymne des Fußballvereins, vor allem bei den Ultra-Fans. Als der AC Mailand vergangenes Jahr Erfolge in der Champions-League erzielte, gingen Videos vom Fangesang auf Social Media viral. Das sorgte für ein Revival des Ohrwurms. Auch wenn die Version der AC Mailand-Fans an manchen Stellen fußballgerecht umgedichtet wurde, fand "Sarà perché ti amo" vermutlich so wieder einen Weg in die breite Masse - und auf die Wiesn.

Wer nicht textsicher oder angetrunken ist, singt einfach die weltweit verbreitete Musiksprache "Lalalalalala" mit. Das funktioniert im Stadion in Mailand genauso gut wie bei "Italodisco" in München.

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Die unsichtbaren Kräfte des Universums: Physikerinnen, Süddeutsche Zeitung

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Die Pasta-Schwestern, Süddeutsche Zeitung