Sturm auf die Männerhochburg

Napoli Women kämpft um Sichtbarkeit in einer Stadt, die Fußball zwar liebt, aber ihr Frauenteam übersieht. Besuch in Süditalien, wo Stereotype so stark sind wie der weibliche Wille.

stern, 18.10.2025

Blau ist in Neapel eine allgegenwärtige Farbe. Azzurro – Azurblau wie das Meer. Wie der Himmel. Azurblau sind auch die Trikots des SSC Neapel, die man alle paar Meter an jeder Straßenecke an einem der vielen Stände kaufen kann. Wie ein Heiliger blickt Maradona im blauen Trikot von Hauswänden auf die Stadt herab.

Auch das Trikot von Napoli Women leuchtet in Azurblau. Dieselbe Aufmerksamkeit wie der Männerverein haben die Frauen allerdings nicht. Denn der Fußballmythos ist in Neapel so männlich geprägt wie kaum anderswo. Dass es auch ein Frauenteam gibt, das in der Serie A Femminile spielt? Wissen nur wenige.

"Siamo la squadra di Partenope": Wir sind das Team von Parthenope, so lautet das Motto der Spielerinnen. Der Verein bezieht sich damit auf die Sirene aus der griechischen Mythologie, deren Leichnam einst an der Küste Neapels angespült wurde. Parthenope, die Stadtgöttin. Im Vereinslogo windet sich eine Sirenenflosse um das "N". Die Botschaft: Wir schreiben die weibliche Fußballgeschichte Neapels. Napoli Women kämpft um Sichtbarkeit in einer Stadt, die Fußball zwar liebt, aber ihre Frauenmannschaft übersieht.

Das wollen die Frauen ändern. Die Straßen Neapels sollen sich zu Siegesfeiern auch für sie füllen. "Wenn wir das Champions-LeagueFinale gewännen, könnte sich die ganze Stadt auch mit uns freuen", sagt Davinia Vanmechelen, 26. Sie ist Stürmerin und Mittelfeldspielerin, hat in der Frauenmannschaft von Brügge (YLA) gespielt, für den PSV Eindhoven, Twente Enschede und Paris Saint-Germain. In der Saison 2024/25 war sie Torschützenkönigin der belgischen Liga. Vanmechelen hat Lust auf Tore. Für Neapel.

Heute aber hat sie frei. Der Trainer hat den Spielerinnen einen Tag Pause geschenkt. Viele der jungen Frauen sind zu ihren Familien oder Freunden gefahren. Auf dem Rasen trainiert heute keiner. Stattdessen blickt Vanmechelen von der Zuschauertribüne auf den Platz. Im Hintergrund ragt der Vesuv in die Höhe. Napoli Women spielt und trainiert im Stadio comunale Giuseppe Piccolo in Cercola, einem Vorort von Neapel. Um hinzukommen, braucht man ein Auto. Das Stadion des SSC Neapel hingegen befindet sich in der Stadt Das ist nicht der einzige Unterschied.

Fast alle Männerclubs aus der Serie A haben zugehörige Frauenmannschaften. In Neapel ist das anders. Napoli Women ist kein Ableger des SSC Neapel, sondern ein eigenständiger Verein. Und: der einzige professionelle Frauenklub in Süditalien. Gemeinsam mit Como Women gehört er zu den wenigen Ausnahmen in der Serie A Femminile, der Ersten Frauenliga. Sie setzen auf den Aufbau einer eigenen Identität und sportlichen Tradition.

Dass Frauen in Süditalien heute nicht nur mitreden, sondern mitspielen, gefällt längst nicht allen: Aurelio De Laurentiis, der Präsident des SSC Neapel, verkündete jüngst in einem Interview, es habe nur die Kosten ins Unermessliche getrieben, den Frauenfußball auch professionalisiert zu haben. Ohne öffentliche Gelder sei der Frauenfußball nur eine Last.

Männer wie De Laurentiis gibt es in der Fußballbranche vermutlich überall. In Italien wiegt seine Aussage schwerer, denn in ihr offenbart sich das noch immer – trotz starker feministischer Bewegungen - stereotype Frauenbild der Gesellschaft. Italien hat zwar eine Regierungschefin, gleichzeitig aber auch eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten für Frauen, vor allem in Süditalien. Das Bild der Frau prägten lange der Einfluss der katholischen Kirche (Mutter, rein, gutherzig, unbefleckt) und gleichzeitig Shows im Fernsehen, in denen Frauen knapp bekleidet auftraten, aber inhaltlich keine tragende Rolle spielten (jung, sexy, unterhaltend, ohne eigene Meinung). Noch immer sind diese Stereotype und traditionellen Rollenbilder tief verwurzelt.

Während De Laurentiis den Frauenfußball vor allem als Kostenfaktor abstempelt, setzt man bei Napoli Women bewusst auf Aufbauarbeit. Die italienische Serie A Femminile gilt erst seit 2022 als Profiliga. Diese späte Professionalisierung war ein überfälliger Schritt, der Mindestlöhne verbesserte und den Spielerinnen Zugang zu Gesundheitsversorgung und Rente verschaffte. Einen Pay-Gap zur Männerliga gibt es auch in Italien weiterhin.

Die Neapolitanerinnen verstehen ihre Rolle als unabhängiger Verein und einziger Frauenprofiklub in Süditalien als Verpflichtung uup Chance zugleich. "Wir sind eine Art Modell und zeigen, dass auch hier etwas wachsen kann", sagt Teammanagerin Giovanna Canale, 26, die aus Neapel stammt. Für das Gespräch mit dem stern stellt sie ihren Rucksack ab, setzt sich auf einen der türkisblauen Plastiksitze auf der Zuschauertribüne.

Im Schnitt kommen 150 bis 200 Menschen zu den Heimspielen. Verschwindend wenig im Vergleich zu den Zuschauerzahlen der Männer. Auch das hängt mit der Sichtbarkeit zusammen. Und ja, der Traum der Frauen heißt Champions League, die Realität aber: Sportlicher Erfolg reicht nicht aus, um gesehen zu werden.

"Um wirklich voranzukommen, müsste das gesamte System, also Medien, Verband, Sportinstitutionen und Vereine, in die Erzählung des Frauenfußballs investieren, nicht nur in Momenten des Erfolges", sagt Canale. Das ganze System auf einmal zu ändern, geht natürlich nicht. Der Verein versucht, die Dinge im Kleinen voranzubringen: "Wir arbeiten insbesondere daran, die Verbindung zur Stadt zur stärken, um zu zeigen, dass Frauenfußball ein Bezugspunkt für Neapel und ganz Süditalien sein kann. Das ist wichtig, denn in Süditalien ist das Zugehörigkeitsgefühl sehr ausgeprägt", sagt sie.

Viel Arbeit hinter den Kulissen investiere man in das Anwerben lokaler Sponsoren, wie zum Beispiel eines Obst- und Gemüselieferanten aus der Umgebung. Kürzlich besuchte das Team Errico Porzio, einen bekannten neapolitanischen Pizzabäcker. Gemeinsam mit ihm kneteten die Frauen die Napoli-Women-Pizza. Eine Social-Media-Aktion, klar. Aber auch solche steigern die Sichtbarkeit und helfen, die Fangemeinde auszubauen. Mit einem Angebot für die Kleinsten, die "bambine", und mit Familientagen möchte man Platz für den Nachwuchs der Region bieten.

Das liegt auch Vivien Beil, 29, aus Jena am Herzen. Sie sitzt beim Treffen mit dem stern in der gleichen Reihe wie Giovanna Canale. Nach einer Verletzung beendete die Mittelfeldspielerin ihre aktive Karriere, blieb dem Team aber als Mentalcoach erhalten, zeitgleich studierte sie Psychologie. Sie hat ein Projekt für Nachwuchsspielerinnen gestartet: "Es geht um die Ausbildung nebenher und darum, sich nicht nur als Spielerin, sondern auch als Mensch weiterzuentwickeln. Nicht jede wird Profi. In Süditalien gibt es viele Mädchen mit großen Träumen. Sie finden hier eine Umgebung, in der sie sich entfalten können", sagt Beil.

"Wir haben alle noch eine andere Ausbildung oder Jobs. Es ist wichtig, ein Umfeld außerhalb des Fußballs zu haben. Für mich war das immer normal. Bei den Jungs hatte ich eher das Gefühl, dass man ihnen öfter klarmachen musste: Nicht jeder legt eine Profikarriere hin", sagt Sarah Hornschuch, 27. Die Torhüterin ist ein Neuzugang bei Napoli Women, zuvor stand sie für Union Berlin im Tor. Sie hat neben ihrer Karriere als Fußballerin Lehramt studiert.

An diesem spielfreien Vormittag sitzen die vier Frauen gemeinsam auf den Zuschauerplätzen, scherzen, sind vertraut miteinander, traqen alle das Napoli Women Poloshirt. Wie eine kleine Familie wirken sie.

Wie ist das nun im Alltag: Wird man als Spielerin in einer vom männlichen Fußball dominierten Stadt wie Neapel Klischees ausgesetzt? Werden sie belächelt oder müssen auch mal dumme Sprüche einstecken? Das sei ihnen in Neapel Gott sei Dank noch nicht passiert, sagen die Frauen. Sie spürten eher die Begeisterung der Menschen, wenn sie in ihrem Trikot durch die Straßen liefen, auf dem Weg zum Spiel oder Training.

Dennoch: Als Frauenteam müsse man sich in Neapel viel mehr beweisen, um gesehen zu werden. "Die Fangemeinde bei den Männern ist stabiler. Als Neapel in der Serie B war, gab es immer noch einen starken Rückhalt. Wenn wir gewinnen, gibt es eine Art Höhepunkt von Aufmerksamkeit, wenn wir verlieren, weniger. Die Aufmerksamkeit müsste konstant bleiben", sagt Canale. Der Druck, sich als Frau doppelt beweisen zu müssen, sei immer gegenwärtig. "Man muss zeigen, dass man etwas kann", sagt Beil. "Vielleicht auch, weil es Süditalien ist - und noch ein hisschen maskuliner als anderswo."

Für die Sichtbarkeit stehen die Chancen für Napoli Women gut: In der Saison 2024/25 ist die Zuschauerzahl der Frauenprofiliga um 25 Prozent im Vergleich zur Vorsaison gestiegen, mehr als 10.000 Menschen besuchten im Schnitt die Halbfinal- und Finalspiele der Coppa Italia. Frauenfußball gewinnt an Ansehen in der Gesellschaft. Und Siegen hilft: Das erste Saisonspiel Anfang Oktober gewann Neapel gegen Florenz.

Das wachsende Interesse bringt konkrete Vorteile: mehr Sponsoren, mehr Publikum, mehr Chancen für junge Spielerinnen. Vor allem bei den jungen Mädchen in und um Neapel ist das Interesse groß. Für Giovanna Canale ist das ein kultureller Wandel: Immer mehr Mädchen beginnen mit dem Fußballspielen. Und mindestens genauso wichtig: Immer mehr Familien seien auch bereit, diese Entscheidung zu unterstützen.

Noch gehen in Neapel keine Zehntausende auf die Straßen, wenn Napoli Women gewinnt. Aber das Team ist schon da. In azurblauen Trikots. Auf Instagram postete Napoli Women ein neues Mannschaftsfoto.Die Azzurre strahlen darauf. Sie sind bereit für das, was kommt. Ein männlicher Fan kommentierte: "Forza Napoli!"

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"Neapels letzter Schriftenmaler", stern